Juli 2025

Kapitel 8 – Neue Fragen

Vorspann

Eine Tasse Kaffee, ein Gespräch am Rand, ein Satz, der bleibt. Während draußen der Regen fällt, beginnt in Isabella etwas zu wachsen: die Ahnung, dass Sprache ein Weg sein könnte. Nicht zurück zu Sergio – sondern zu sich selbst.

<<– Zurück zu Kapitel 7-Die Sprache dazwischen

Zuerst hatte sie sich eine Sprachlern-App heruntergeladen. Sie wusste nicht genau, was sie erwartete, aber der Gedanke, Sergio vielleicht besser verstehen zu können – und vielleicht auch sich selbst – hatte sie angetrieben. Anfangs waren es nur ein paar Minuten am Abend, manchmal auch nur während einer Kaffeepause. Aber diese Minuten wurden zu einer Gewohnheit, einer stillen Flucht vor der Stille ihres Alltags.

Die App gab ihr eine Struktur. Jeden Tag gab es neue Lektionen: Vokabeln, einfache Sätze, Grammatikübungen. Isabella kämpfte sich durch das Lernen, oft frustriert, weil die Wörter in ihrem Kopf vermischten und sich nicht so recht ordnen wollten. Es war ein ständiger Kampf gegen die Zweifel: Wird sie es je schaffen, wirklich zu verstehen, was Sergio schreibt? Wird sie eines Tages in der Lage sein, ihm zu antworten, ohne sich dabei hilflos zu fühlen?

Aber es war auch etwas anderes, das sie bei jeder Übung antrieb. Es war die Vorstellung, dass sie ihm eines Tages in seiner Sprache nahe sein könnte, dass sie vielleicht durch diese Sprache ein Stück von dem verstehen würde, was ihn zu dem machte, was er war. Ihr Herz pochte schneller, als sie versuchte, die einfachen Sätze zu sprechen, die sie sich mühsam beibrachte.

„¿Cómo estás?“ – Wie geht es dir?

Jeden Tag wiederholte sie solche Sätze, versuchte, die Worte richtig auszusprechen, auch wenn sie sich selbst seltsam dabei vorkam. Aber mit jeder Wiederholung wuchs ein kleines Gefühl der Sicherheit. Und mit jedem Tag wurde sie ein Stückchen mutiger. Die App gab ihr nicht nur die Sprache, sie gab ihr auch eine neue Perspektive – nicht nur auf Sergio, sondern auf ihr eigenes Leben. Auf die Dinge, die sie in all der Zeit übersehen hatte, auf die Welt jenseits ihrer grauen Routine.

Eines Abends, nach einer besonders langen Sitzung, als sie sich müde, aber zufrieden auf das Sofa fallen ließ, wischte sie durch die Lektionen und stieß auf eine einfache Phrase: „El camino es más importante que el destino“ – Der Weg ist wichtiger als das Ziel. Sie starrte auf die Worte. War das nicht genau das, was sie auf irgendeine Weise in Sergios Blog gelesen hatte? Vielleicht hatte er nie diese Worte so direkt gesagt, aber es war die Botschaft, die er in seinen Erzählungen von seiner Suche durch den Nebel vermittelte.

Isabella hatte plötzlich das Gefühl, dass auch sie auf ihrem eigenen Weg war, wenn auch noch auf einer Reise, die sie sich selbst erst erschaffen musste. Ihre Reise hatte gerade erst begonnen, und obwohl sie sich immer noch in den Anfängen befand, fühlte es sich an, als hätte sie einen entscheidenden Schritt in eine Richtung gemacht, von der sie nie gewusst hätte, dass sie sie gehen würde.

Am nächsten Tag saß sie wieder in ihrem Büro, während die Stunden wie immer zäh verstrichen. Aber in ihrem Inneren wusste sie: Sie war nicht mehr nur die Isabella von gestern. Sie war jemand, der sich verändert hatte – auch wenn es nur durch kleine, unauffällige Schritte war, die sie in ihrer Stille tat.

Es war ein grauer Nachmittag, der in die vertrauten Routinen des Büroalltags einzutauchen schien. Isabella saß in der Kaffeeküche, allein, wie so oft. Die anderen Kollegen schütteten sich ihre Kaffeetassen voll, unterhielten sich in kleinen Grüppchen, lachten über den neuesten Klatsch oder die neuesten Pläne fürs Wochenende. Isabella nahm einen schnellen Schluck aus ihrer Tasse, dann starrte sie eine Weile auf das Kaffeepulver, das sich langsam im Becher absetzte. Ihre Gedanken drifteten, wie so oft, in eine andere Richtung.

Doch an diesem Tag war es anders. Ein Gespräch am anderen Ende der Küche brachte sie zurück in die Gegenwart. Daniela, eine Kollegin, die immer ein wenig lauter und lebendiger war als die anderen, stand mit einer Hand an der Wand und erzählte von ihrem letzten Urlaub in Kroatien.

„Es war einfach traumhaft“, sagte sie, während sie mit einer Hand auf den Becher deutete. „Weißt du, dieses Gefühl, das du hast, wenn du an einem ganz anderen Ort bist, in einer fremden Stadt, einer neuen Kultur. Es ist wie ein Neustart. Du bist für eine Weile nicht mehr die, die du jeden Tag bist, verstehst du?“

Isabella zuckte zusammen, als sie die Worte hörte, als hätten sie einen versteckten Funken in ihr entzündet. Sie hatte sie oft gehört, diese Worte über das Reisen, aber sie hatten nie die gleiche Bedeutung für sie gehabt. Sie hatte nie etwas anderes gesucht, als sich durch die Tage zu schleppen, sich von Aufgabe zu Aufgabe zu hangeln. Aber jetzt… jetzt war etwas anderes in ihr. Ein kleiner Funke.

„Ja“, sagte sie leise und ließ ihre Worte eher ins Leere fallen, als sie wirklich für jemand anderen gedacht waren. „Vielleicht… vielleicht ist das, was ich brauche. Ein Neustart.“

Daniela schaute sie neugierig an. „Ach, du auch? Was hält dich davon ab?“

Isabella zögerte. Eigentlich wusste sie die Antwort. Ihr Leben war so fest und unverrückbar wie der graue Himmel, den sie jeden Morgen vom Fenster ihres Büros aus betrachtete. Reisen – das war für andere, nicht für sie. Sie hatte nie die Gelegenheit dazu gehabt, nie die Freiheit, wirklich zu träumen. Aber irgendetwas in ihr regte sich, als sie diese Frage hörte. Ein flüchtiger Gedanke, ein winziger Impuls.

„Ich… ich weiß nicht“, antwortete sie und versuchte, das Thema mit einem kurzen Lächeln abzuschließen. „Ich glaube, ich habe nie wirklich darüber nachgedacht. Aber es gibt da jemanden, von dem ich immer wieder lese… ein Reiseblogger aus Spanien.“

Daniela blinzelte überrascht. „Oh, wirklich? Was schreibt er?“

„Er… er geht auf eine Reise durch Spanien, sucht nach seiner Familiengeschichte. Es klingt… magisch. Weißt du, er spricht immer davon, wie er in den Nebelwäldern spaziert, auf den Wegen, die seine Vorfahren gegangen sind. Es ist… irgendwie faszinierend, wie er diese Verbindung zu seinem Land findet.“

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Kapitel 7 – Die Sprache dazwischen

Vorspann:
„Isabellas Welt beginnt sich zu verschieben. Zwischen Fehlern, Rückfragen und zögernden Worten wächst ein zarter Faden – und die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen.“

<< — Zurück zu Kapitel 6 – Die erste Nachricht

Er hatte geantwortet.

Langsam, fast zögerlich öffnete sie die Nachricht. Sie hatte sich nicht viel erwartet – vielleicht ein kurzes, höfliches „Danke“ oder gar nichts. Aber das, was sie dann las, ließ ihren Atem stocken:

„Ich danke dir für deine Worte. Sie haben mich berührt. Der Waldweg, den ich beschrieben habe, ist ein Ort der Erinnerung für mich, aber auch ein Ort des Suchens. Ich hoffe, du findest auch deinen eigenen Pfad, der dich zu dem führt, was du suchst.“

Isabella starrte auf den Bildschirm. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Hatte er das geschrieben? Und was meinte er mit „deinen eigenen Pfad finden“? Es fühlte sich an, als wäre sie plötzlich in einer Geschichte, die nicht mehr nur von ihm handelte, sondern auch von ihr. Als hätte er sie in seinen Worten gesehen, als hätte er ihre Sehnsüchte erkannt, auch ohne sie zu kennen.

In diesem Moment war es, als würde sie von der Zeit selbst eingeholt werden. Die Geräusche der Kaffeeküche, das Gespräch ihrer Kolleginnen über das Wochenende, das Lachen und die Hektik – all das war plötzlich weit entfernt, verschwommener, leiser. Sie war nur noch hier, mit diesem kurzen Satz von Sergio, der mehr sagte, als sie erwartet hatte.

Schnell tippte sie eine Antwort, aber ihre Finger zitterten so sehr, dass sie den Text immer wieder löschte. Wie antwortete man auf etwas, das einen so unerwartet tief traf? Schließlich ließ sie es einfach bei einem einfachen, ehrlichen Satz:

„Danke für deine Worte. Sie haben etwas in mir angestoßen.“

Isabella drückte auf „Absenden“, legte das Handy zur Seite und atmete tief durch. Ihre Gedanken waren noch immer wirr, aber sie wusste, dass etwas in ihr begonnen hatte, sich zu verändern. Vielleicht war es der Beginn von etwas, das sie nicht ganz fassen konnte, aber es fühlte sich an, als würde sie gerade einen ersten Schritt in eine Richtung machen, die sie schon lange vermieden hatte.

Als sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte, hatte sie das Gefühl, dass der Nebel, der solange ihr Leben verhüllt hatte, ein wenig dünner geworden war.

Die nächsten Tage vergingen in einer seltsamen Mischung aus Routine und Erwartung. Isabella fand sich immer wieder dabei, nach den Nachrichten von Sergio zu sehen, als wäre ihr Tag nicht vollständig, wenn sie nicht ein kleines Stück von ihm auf ihrem Bildschirm entdeckte.

Die Kommunikation war anfangs vorsichtig und zurückhaltend, doch die Worte, die sie austauschten, begannen, eine Verbindung zu spinnen. Es war jedoch nicht einfach, vor allem wegen der Sprachbarriere. Isabella, die nur ein paar Grundkenntnisse in Spanisch hatte, kämpfte sich durch die Nachrichten, die immer wieder unklar blieben. Und Sergio, dessen Englisch zwar gut war, aber nicht perfekt, konnte oft nur schwer ausdrücken, was er wirklich sagen wollte. Isabellas Englisch war nicht besser als ihr Spanisch. Die Missverständnisse waren häufig und zwangen sie dazu, ihre Nachrichten immer wieder zu überdenken und umzuschreiben.

Trotz dieser Hürden schafften sie es, sich in einfachen Sätzen mitzuteilen. Jeder Austausch war wie ein kleines Abenteuer, bei dem Isabella sich manchmal fühlte, als würde sie ein Rätsel lösen. Sie lachte über ihre eigenen Versuche, sich in Spanisch auszudrücken, und gleichzeitig fühlte sie sich von der Authentizität seiner Worte angezogen. Es war, als würde jeder Satz, den sie las, sie ein Stück mehr in seine Welt ziehen.

In einer seiner ersten E-Mails fragte Sergio sie nach ihrem Leben, ihren Träumen, nach dem, was sie antreibt. Sie antwortete, indem sie von ihrem Bürojob und dem alltäglichen Trott erzählte, aber auch von dem Gefühl, dass mehr in ihr steckte, als sie sich zutraute zu leben. Es war schwer, sich ganz zu öffnen, besonders in einer Sprache, die nicht ihre eigene war, aber sie versuchte es trotzdem.

„Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Leben einen Weg verloren habe“, schrieb sie in ihrer Nachricht. „Ich bin mir nicht sicher, wo er ist oder wie ich ihn finden kann. Aber du… du gehst auf deiner Reise, und das beeindruckt mich sehr.“

Sergios Antwort kam schneller als erwartet. Sie las seine Worte, die sich fast wie ein Puzzle anfühlten, da sie in seinem Spanisch oft ein wenig aufräumen musste. Aber sie konnte den Schmerz und die Sehnsucht hinter seinen Zeilen fühlen.

„Ich verstehe. Ich habe meine eigene Suche auch nicht gefunden, Isabella. Vielleicht ist das Leben wie ein Weg durch den Nebel. Wir können nur den nächsten Schritt sehen, aber nicht wissen, wohin er uns führt. Aber wir müssen weitergehen.“

Isabella starrte auf den Bildschirm. Seine Worte waren so einfach, so ehrlich, aber sie trugen eine Schwere in sich, die sie tief berührte. Sie wollte mehr wissen, wollte mehr verstehen, aber die Sprache war ein ständiges Hindernis. Die Worte, die sie lesen konnte, reichten nur bis zu einem gewissen Punkt, dann musste sie den Rest erahnen.

Sie nahm sich Zeit, eine Antwort zu formulieren, die mehr war als nur ein paar kurze Sätze. Sie wollte ihm etwas von sich zeigen, etwas, das sie selbst kaum fassen konnte.

„Vielleicht ist das der Grund, warum ich deinen Blog lese“, schrieb sie. „Du gehst durch den Nebel, du suchst etwas, das du noch nicht gefunden hast, und das fühlt sich so nah an, als könnte ich es auch suchen. Vielleicht ist es nicht der Weg, der wichtig ist, sondern die Bereitschaft, sich auf die Reise zu begeben.“

Isabella drückte auf „Absenden“ und lehnte sich zurück. Sie wusste, dass das, was sie schrieb, nicht perfekt war, aber es war wahr. Und vielleicht war es das, was zählte.

Es gab noch immer viele Missverständnisse in ihren Nachrichten, und oft musste sie Geduld mit sich selbst und mit ihm haben, aber irgendwie fühlte sie sich, als würden sie sich ein kleines Stück näherkommen – trotz der Barrieren. Und vielleicht war es genau das, was sie gerade brauchte.

Die Stunden vergingen wie im Flug, während Isabella sich heimlich auf den Weg in eine neue Welt machte. Jeden Abend, nach dem Erledigen ihrer abendlichen Routine – der leeren Wohnung, dem mikrowellenfertigen Abendessen und den Programmen im Fernsehen, die sie immer mehr nur noch passiv nebenbei verfolgte – zog sie an ihren Schreibtisch zurück, um mit dem Spanischlernen zu beginnen.

Abspann:
„Vielleicht ist es nicht das Verstehen, das Nähe schafft – sondern der Wunsch, gehört zu werden.“

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Kapitel 6 – Die erste Nachricht

Vorspann:
„Ein kurzer Kommentar, ein unsichtbarer Klick – mehr braucht es nicht, um etwas in Bewegung zu setzen. Isabella ahnt noch nicht, was sie damit entfesselt.“

« Zurück zu Kapitel 5 – Eine Ahnung von mehr

Akt II

An diesem Dienstagmorgen, als Isabella in der Weite des Großraumbüros saß und der monotone Klang der Tastaturen und das Rauschen der Klimaanlage sie wie in einem grauen Nebel umgaben, konnte sie den Drang, Sergios Blog zu öffnen, kaum unterdrücken. Es war wie ein unsichtbares Band, das sie immer wieder zu seinem Profil zog, selbst inmitten der drögen Arbeit. Ihre Finger schwebten fast automatisch über die Tasten, als sie den Browser öffnete, sich den Gedanken an die Folgen aus dem Kopf schlug und die Adresse tippte.

Das Internet war der einzige Raum, in dem Isabella sich sicher fühlte. Hier, in der Anonymität des Cyberspace, konnte sie für einen Moment jemand anderes sein, jemand, der nicht in einem grauen Büro saß, sondern in einer Welt voller Möglichkeiten. Vielleicht war es auch eine Art Flucht, aber zu dieser Stunde hatte sie das Gefühl, dass sie einfach nur mehr von der Welt brauchte. Mehr von der Welt, die Sergio sah, mehr von der Welt, die sie in ihrem Leben nicht mehr fand.

Der Bildschirm zeigte sofort das vertraute Bild: der neblige Waldweg in Galicien, der wie ein stilles Geheimnis vor ihr lag. Darunter war der neue Beitrag, der von einem alten Dorf in Aragón sprach, das Sergio mit seiner Familie besucht hatte. Ein kurzer Blick auf den Text und die Bilder ließ Isabella noch tiefer in die Geschichte eintauchen. Sie scrollte weiter, vergaß völlig die Zeit und die Geräusche um sich herum. Sie verlor sich in den Worten, in den Emotionen, die Sergio in seinen Beiträgen teilte, in seiner Suche nach der Vergangenheit und seinem eigenen Erbe.

Es war, als wäre er der einzige Mensch, der in diesem Moment nicht nur existierte, sondern lebte – mit einer Intensität, die sie in ihrem eigenen Leben nie gekannt hatte. Seine Worte hatten die Kraft, sie an Orte zu bringen, die sie nie betreten hatte. Der Blick auf den Bildschirm, das Klicken der Maus, und in der Stille ihres Büros fühlte sie sich plötzlich lebendig, als wäre sie Teil von etwas viel Größerem.

Ein Blick zur Uhr zeigte ihr, dass schon eine Stunde vergangen war, und das Gefühl von Schuld kroch langsam in ihr auf. Sie war noch nicht einmal mit der Arbeit auf ihrem Schreibtisch fertig. Doch statt sich wieder den Aufgaben zu widmen, kippte sie ihren Stuhl nach hinten und seufzte. Ihre Gedanken begannen zu wandern. Warum fühlte sie sich so verbunden mit einem Menschen, den sie nie gesehen hatte? Warum konnte sie sich nicht losreißen, auch wenn sie wusste, dass es unprofessionell war, diesen Blog während der Arbeitszeit zu lesen? Sie riskierte eine Abmahnung oder Schlimmeres.

Es war der Gedanke an den Nebel, an den Waldweg, der sie immer wieder zu ihm zog. Diese Bilder, die so vertraut und doch fremd waren, sprachen eine Sprache, die sie in ihrem Leben nie gelernt hatte. Was, wenn sie selbst nie einen Waldweg in Nebel gehüllt betreten hatte? Was, wenn sie nie den Mut gehabt hätte, ihren eigenen Weg zu finden? Hatte sie es in ihrer kleinen Welt in Gelsenkirchen so sehr vermisst, dass sie bei den Geschichten dieses fremden Mannes Trost fand? Vielleicht war es nicht nur die Neugier auf seine Reisen, sondern der Wunsch, selbst etwas zu erleben, sich selbst zu finden, irgendwo, an irgendeinem dieser geheimen Orte.

Isabella stand abrupt auf und ging zur Kaffeeküche, wo ihre Kolleginnen bereits über das neueste Büroklatsch redeten. Ihre Worte prallten an ihr ab, als sie ihre Tasse füllte. Ihre Gedanken waren noch immer bei Sergio und dem Bild des Nebelwaldes. Während sie an ihrer Tasse nippte, fragte sie sich, was es wohl für ihn bedeutete, all diese Orte zu bereisen, all diese Geschichten zu erzählen. Hatte er nie das Bedürfnis gehabt, sich niederzulassen, wie sie es tat? Oder war es gerade die ständige Bewegung, die ihn suchend und lebendig hielt?

Mit einem weiteren Blick auf die Uhr nahm sie sich vor, bis zum Feierabend durchzuhalten. Aber der Gedanke an Sergio war nicht mehr zu ignorieren. Und als sie zurück an ihren Schreibtisch ging, wusste sie eines ganz genau: Sie musste mehr über diesen Mann erfahren. Sie musste wissen, wohin er ging, was er suchte. Sie musste verstehen, warum sie ihn in einem so persönlichen Raum ihres Lebens spürte – als hätte er die Sehnsucht geweckt, die sie selbst nie benennen konnte.

Und in diesem Moment, während sie mit ihren Fingern über die Tastatur tippte, formte sich bereits der Entschluss in ihrem Kopf: Sie würde ihm schreiben.

Isabella starrte auf das Bild, das den nebligen Waldweg zeigte, den Sergio so oft beschrieben hatte. Es hatte etwas Mystisches, beinahe Magisches. Der Nebel schien den Pfad zu verschlingen, während die Bäume wie stumme Zeugen der Vergangenheit standen. Sie hatte es unzählige Male betrachtet, jedes Detail aufgenommen und sich dabei gefragt, was es wohl bedeutete, dort zu gehen – diesen Weg entlang, durch den dichten Nebel, als würde er eine Erinnerung berühren, die längst vergessen war.

Jetzt, in der Stille ihres Büros, fühlte sie einen plötzlichen Drang, etwas zu sagen. Aber was konnte sie zu diesem Bild schon beitragen? Was hatte sie zu erzählen, das in irgendeiner Weise zu seiner Reise passte?

Zögerlich tippte sie ein paar Worte in das Kommentarfeld unter dem Bild, den Cursor über dem „Absenden“-Button schwebend. Es war keine große Weisheit, keine tiefgründige Erkenntnis, nur ein Satz, der vielleicht mehr über sie selbst aussagte, als sie es wollte:

„Dieser Waldweg fühlt sich an, als würde er zu einem Ort führen, den ich niemals betreten habe, aber immer gesucht habe.“

Es war kurz, fast unspektakulär, aber es war ehrlich. Sie drückte die Tasten, fühlte sich fast schüchtern dabei. Was, wenn er ihre Nachricht einfach übersehen würde? Was, wenn er sie nie lesen würde? Es war nicht so, dass sie wirklich etwas erwartete, doch in ihrem Inneren hoffte sie doch, dass ihre Worte etwas in ihm anrühren könnten. Sie drückte auf „Absenden“, atmete tief durch und lehnte sich zurück in ihrem Stuhl.

Die nächsten Minuten verbrachte sie damit, nervös auf das Display ihres Handys zu starren, das sie wieder in ihrer Hand hielt. Sie öffnete die Instagram-App erneut, nur um zu sehen, ob er online war, als ob sein Name dort ein Zeichen sein könnte, dass er die Nachricht gelesen hatte. Doch nichts. Keine neue Benachrichtigung, kein Kommentar, keine Nachricht.

Isabella fühlte sich fast erleichtert. Vielleicht war es besser so. Vielleicht war es besser, sich nicht zu viel von ihm zu erwarten. Was hatte sie ihm schon zu sagen? Sie war nur eine anonyme Leserin seines Blogs, eine Fremde, die von seinen Erlebnissen berührt war. Was hatte jemand wie er mit jemandem wie ihr zu tun?

Trotzdem konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas in ihr durch den Kommentar in Bewegung geraten war. Eine Unsicherheit mischte sich mit einer zarten Hoffnung, die sie nicht begreifen konnte. Sie fühlte sich verwundbar – als hätte sie ein kleines Stück von sich selbst preisgegeben, ohne zu wissen, was daraus entstehen würde. Aber tief in ihr wuchs die leise Vorstellung, dass dieser Funke der Veränderung vielleicht doch aus einer unerwarteten Ecke kommen könnte. Vielleicht war der Moment, den sie soeben erschaffen hatte, der erste Schritt in eine Richtung, die sie nie zuvor in Betracht gezogen hatte.

Der nächste Tag begann wie jeder andere. Isabella wachte auf, der Blick aus dem Fenster fiel auf den dunklen Himmel, der den Horizont wie ein schwerer Vorhang verschloss. Sie stand auf, erledigte die ersten routinierten Bewegungen des Morgens, setzte sich in die überfüllte Straßenbahn und fuhr zur Arbeit – all das wie im Autopilot-Modus, ohne viel darüber nachzudenken.

Doch als sie in der Kaffeeküche stand und die Tasse in der Hand drehte, blieb ihr Blick plötzlich an ihrem Handy hängen, das auf dem Tisch lag. Eine Benachrichtigung. Sie hatte sie fast vergessen. Der Kommentar, den sie gestern hinterlassen hatte. Ihre Finger zitterten leicht, als das Display aufleuchtete und sie den Namen „Sergio Menendez Clavero“ las. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Abspann:
„Manchmal reicht ein einziger Satz, um die Stille zu durchbrechen. Und manchmal beginnt Veränderung genau dort, wo niemand hinsieht.“

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Kapitel 5 – Eine Ahnung von mehr

Vorspann:
„Es ist nur ein Gedanke, nicht mehr. Und doch hebt er die Schwere in Isabellas Brust für einen Moment an. Was wäre, wenn dieser Mann ihr Leben verändern könnte?“

« Zurück zu Kapitel 4 – Ich will wissen, woher ich komme

Isabella stellte sich vor, wie es wäre, mit ihm zu sprechen – nicht nur über seine Reisen, sondern über all die tiefen Fragen, die unter seiner Oberfläche verborgen waren. Wie wäre es, ihn endlich zu fragen, was ihm wirklich fehlte, was er in all diesen Jahren der Suche über sich selbst gelernt hatte? Wäre sie dann jemand, der ihm half, die Antworten zu finden? Oder würde sie nur eine stille Begleiterin bleiben, die zu den Orten ging, die er mit so viel Sehnsucht aufsuchte?

Und dann, in einem unerwarteten Moment der Klarheit, dachte sie: Was, wenn er sie nicht nur als Reisepartnerin wollte? Was, wenn er sie als mehr sehen würde? Vielleicht könnte sie diejenige sein, die ihm das Gefühl von Zuhause gibt, das er nie gefunden hat, obwohl er es immer gesucht hat. Vielleicht könnte sie ihm den Halt bieten, den er brauchte, um seine eigene Geschichte zu begreifen. Vielleicht brauchte er sie genauso wie sie ihn – jemanden, der ihn verstand, ohne all die Worte, die er nie hatte.

Der Gedanke stieg in ihr auf wie eine Welle – ein wildes, unbändiges Gefühl von Möglichkeit, von Leben, von der unerforschten Freiheit, die sie in seiner Welt fand. Es war ein fremdes Gefühl, dieses sich selbst als Teil eines anderen Lebens zu sehen. Doch es fühlte sich auch richtig an, als ob sie endlich einen Ort gefunden hätte, an dem sie nicht mehr nur eine Randfigur war, sondern ein Teil eines größeren Bildes.

Und in diesem Moment, als sie sich vorstellte, an seiner Seite durch den Nebel zu gehen, schien alles so weit entfernt, und doch so nah. Es war, als könnte sie den feuchten Boden unter ihren Füßen förmlich spüren, die kühle Luft einatmen. Vielleicht war sie noch nicht bereit, diesen Schritt zu tun – aber vielleicht, dachte sie, war es der einzige Schritt, den sie jetzt noch tun konnte.

In dem stillen, schwachen Licht ihres Zimmers begann ein neuer Gedanke in Isabella zu keimen – schüchtern, aber unaufhaltsam. Es war kein klarer Plan, keine greifbare Entscheidung, sondern ein vager Funke, der tief in ihr aufblitzte, wie ein unbemerkter Stern, der sich langsam in den Vordergrund drängte.

Die Vorstellung, Teil von Sergios Leben zu sein, hatte etwas in ihr geweckt – etwas, das lange im Verborgenen geschlummert hatte. Eine Sehnsucht, die sie nicht kannte, weil sie nie wusste, dass sie überhaupt existierte. Es war nicht nur das Verlangen nach Abenteuer oder der Wunsch, etwas anderes zu tun, es war mehr. Es war der Wunsch nach Veränderung. Der Wunsch, aus der Dunkelheit ihres gewohnten Lebens herauszutreten und in eine Welt einzutauchen, die nicht so festgelegt, so festgefahren war. Eine Welt, in der Geschichten erzählt wurden, in der der Nebel über den Wäldern eine Bedeutung hatte, in der Fragen gestellt wurden, auch wenn die Antworten noch nicht greifbar waren.

Isabella lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Sie spürte, wie der Druck, der sonst immer auf ihrer Brust lastete, nachließ – als ob dieser Funke der Sehnsucht, den sie so lange nicht zugelassen hatte, nun etwas in Bewegung setzte. Vielleicht war es der Gedanke, dass auch sie mehr wollte als nur die monotone Abfolge von Arbeit, Stille und Einsamkeit. Vielleicht war es der Wunsch, zu spüren, dass es noch mehr gab, dass sie noch mehr sein konnte, als sie sich jemals erlaubt hatte.

Sie dachte an die fremden Orte, die sie nie betreten hatte, an die Geschichten, die sie nie gehört hatte. Sie dachte an Sergio, an seine Suche nach dem Unbekannten, an seinen Blick auf die Vergangenheit, die ihm entglitten war. Und in einem flimmernden Moment fühlte sie sich mit ihm verbunden – nicht als die Frau, die gerade in ihrer Wohnung saß, sondern als jemand, der sich selbst die Freiheit gab, eine neue Richtung einzuschlagen.

Der Funke, der in ihr auflodert war, war kein Feuer, das sofort alles verwandelte. Aber er war der erste Schritt. Es war der Beginn einer Veränderung, die so klein und gleichzeitig so groß war, dass sie es nicht sofort greifen konnte. Aber sie wusste, dass es nicht bei diesem Gedanken bleiben würde. Irgendetwas hatte sich in ihr verändert – und sie fühlte es in jeder Faser ihres Körpers.

Isabella griff nach ihrem Handy und öffnete erneut Sergios Blog. Ihr Blick glitt über die Worte, die sie so lange nicht beachtet hatte. Und während sie die Zeilen las, wusste sie, dass dieser Funke in ihr nicht mehr zu löschen war. Ein neuer Wunsch war entfacht, eine Neugier, die ihr Herz schneller schlagen ließ. Vielleicht würde sie wirklich reisen. Vielleicht würde sie nach Spanien fliegen und den Nebel auf einem Waldpfad spüren. Vielleicht würde sie den ersten Schritt tun, um sich selbst in dieser Geschichte zu finden.

In diesem Moment war es ihr egal, wie verrückt es sich anfühlte. Sie wollte einfach wissen, was jenseits der grauen Wände ihres Lebens lag. Sie wollte wissen, ob es da draußen etwas gab, das sie mehr lebendig fühlen ließ, etwas, das sie dazu brachte, aufzuwachen und zu atmen, als wäre sie mehr als nur ein flimmernder Schatten in ihrem eigenen Leben. Und vielleicht, dachte sie, war der erste Schritt dazu, diesen Blog weiter zu verfolgen, diesen Mann kennenzulernen und sich selbst die Freiheit zu erlauben, zu träumen.

Langsam legte sie das Handy zur Seite und blickte nachdenklich auf das Bild von Sergio, das auf dem Bildschirm stand – ein Mann, der durch Nebel ging. Der auf der Suche war. Und jetzt wusste sie, dass auch sie auf der Suche war.

Abspann:
Es war nur ein Gedanke. Doch manchmal reicht ein Gedanke, um etwas in Bewegung zu setzen – leise, unbemerkt, aber unumkehrbar.

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