Eichenwald im Nebel mit Lichtstrahl

Vorspann

„In den geordneten Räumen ihrer Wohnung hallt Isabellas Stille lauter als jeder Fernseher. Routine tarnt die Leere – doch etwas regt sich darunter.“

« Zurück zu Kapitel 2: Alltag im Büro

Mit einem leisen Seufzer legte sie das Handy zur Seite und schloss die Augen. Der Gedanke an den Nebel, der die Straßen, die Wälder und ihre eigenen Gedanken umhüllte, ließ sie nicht mehr los. Es war der Nebel, der sie schließlich in diese neue Welt geführt hatte. Und vielleicht – dachte sie – war es der Nebel, der sie eines Tages auch wieder herausführen würde.

Isabellas Wohnung war wie ein leeres Gehäuse, das den täglichen Trott stumm erduldete. Beim Betreten wurde man von einer sauberen, aber leblosen Stille empfangen. Die Möbel hatte sie beinahe wahllos zusammengekauft, helle, einfache Holzmöbel, die in makellosem Zustand waren, aber so neutral, dass sie fast vergessen wirkten. Sie hatte ein graues Sofa gewählt, dessen Kissen ordentlich in einer Reihe lagen, die aber nie benutzt wurden. Ein glatter, glänzender Esstisch, auf dem nie ein Krümel lag, weil sie ihn immer sofort säuberte, und Stühle, die unberührt am Tisch standen. Überall war alles in schlichten Tönen – Weiß, Hellgrau und Blaugrau – als hätte ein Designer mit wenig Fantasie das Leben der Besitzerin in einem einzigen Atemzug zusammengestellt. Es sah aus wie einer dieser Instagram tauglichen Beige-Moms.

Es gab keine Farben, keine persönlichen Akzente, die dem Raum eine Seele verliehen. Keine Bilder an den Wänden, keine Karten von Orten, die sie besucht hatte, keine Fotografien von Familienmitgliedern oder Freunden. Die Wände waren nackt, bis auf einige wenige neutrale Deko-Elemente – eine minimalistische Uhr, deren Zeiger in monotoner, regelmäßiger Bewegung den unaufhörlichen Takt des Lebens maß, das irgendwann keine Bedeutung mehr hatte.

In einer Ecke stand ein schmales Bücherregal, vollgestopft mit ungelesenen Ratgebern und einem Sammelsurium an Nachschlagewerken aus dem Internet. Doch der Staub auf den Buchrücken ließ darauf schließen, dass der Platz nie für echte Literatur, sondern eher für eine Ästhetik genutzt wurde – eine, die vorgab, Wissen zu enthalten, ohne es wirklich zu begehren. Isabella beachtete weder das Regal noch seinen Inhalt.

Sie hatte auch keine Pflanzen. Haustiere waren gar nicht in ihrem Gedankenrepertoire. Es gab nichts Lebendiges, das eine Verbindung zum Raum oder zu ihr selbst herstellen konnte. Die Luft war immer frisch, beinahe zu frisch, aber es war die Kälte eines Raumes, der nie in Besitz genommen wurde. Kein Duft von etwas Gebackenem, keine Kerzen, kein frisch gewaschener Duft, der von der Wäsche der Woche ausgeht. Alles war so akkurat, so ordentlich, dass es beinahe unangenehm wirkte. Der Raum hatte keine Geschichte, kein Leben. Alles, was sie an Erinnerungen mitbrachte, trug sie in ihrem Inneren und verschloss es in der Leere des Raumes.

Die Küche, die an den Wohnbereich angrenzte, war genauso unpersönlich. Ein kleiner Tisch, der eher funktional als einladend wirkte, umringt von vier ebenso wenig bequemen Stühlen. Der Kühlschrank summte leise vor sich hin, und die Regale waren mit durchsichtigen Plastikbehältern und neutralen Gläsern gefüllt – keine Marmelade im Glas von der Tante geerbt, keine Salzstreuer, die Geschichten von vergangenen Reisen erzählten. Alles war so klar und geradlinig, wie eine Bühne kurz vor dem Vorhang. Alles war für den Augenblick bereit – doch nichts war je wirklich lebendig.

Es war der perfekte Ort für Isabella, um sich zu verstecken. Um zu leben, ohne wirklich zu leben.

Isabella stand in der Küche, die leere Stille um sie herum fühlte sich fast greifbar an, während ihre Hände automatisch die Tiefkühlpizza aus dem Karton nahmen. Der Kühlschrank summte leise im Hintergrund, als sie das Plastik ablöste und die flache, runde Pizza auf das Backblech legte. Die rote Verpackung war fast das Einzige, was farbenfroher war als der Rest der Wohnung. Sie schob das Blech in den Ofen, ließ die Tür mit einem leisen Klick hinter sich zufallen und stellte den Timer auf 15 Minuten – noch eine einfache, vertraute Routine.

In der Zwischenzeit holte sie sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas voll ein. Der Raum fühlte sich kühl an, der Boden war kalt unter ihren Füßen, als sie zurück ins Wohnzimmer ging. Der Fernseher war bereits eingeschaltet, das vertraute Rauschen von Nachrichten und Werbespots füllte den Raum, doch sie nahm es nur halb wahr. Ihr Blick streifte den Bildschirm, ohne wirklich zu sehen, was dort lief. Ihre Gedanken waren woanders, bei den Bildern von Sergio, bei seinen Geschichten und dem Wald in Galicien, bei der Sehnsucht nach etwas, das sie selbst nicht benennen konnte. Doch der Alltag hatte sie im Griff, und so musste sie sich auch weiterhin in den gewohnten Bahnen bewegen.

Als der Timer klingelte, stand sie auf und ging zurück in die Küche. Der Ofen hatte die Pizza gleichmäßig goldbraun gebacken, und ein verlockender, fettiger Duft stieg ihr in die Nase. Sie schnitt die Pizza in vier Teile, der Käse war noch blubbernd heiß, und der Teig hatte genau die richtige Konsistenz – nicht zu hart, aber auch nicht zu weich. Keine Überraschung, keine Freude. Nur Funktionalität. Es war immer das Gleiche, immer genau wie beim letzten Mal.

Mit einem Teller und einer Gabel in der Hand setzte sie sich auf das Sofa. Der Fernseher plärrte weiter, aber sie achtete nicht darauf. Der erste Bissen war wie ein gewohntes, fast unangenehmes Bedürfnis. Der Geschmack war fettig, salzig, aber leer – genauso wie das Leben, das sich nach und nach in den grauen Abenden wiederholte. Sie kaute mechanisch, der Blick auf dem Bildschirm verharrend, während sie von den Nachrichten zu den Werbeunterbrechungen wechselte. Es war, als würde sie die Zeit einfach über sich ergehen lassen, ohne wirklich teilzunehmen.

Der Fernseher zeigte eine Werbung für ein neues Auto, das in jeder Hinsicht perfekt war. Das glänzende Metall, die makellosen Sitze, die durchscheinende Qualität des Bildes. Isabella fragte sich für einen Moment, ob jemand das Gefühl von Lebendigkeit erleben konnte, das der Bildschirm so deutlich vorgaukelte. Sie nahm noch einen Bissen, dann noch einen, und irgendwann war die Pizza verschwunden. Der Teller war leer, und sie stellte ihn zur Seite, ohne ihn wirklich wahrzunehmen.

Der Fernseher lief weiter. Aber Isabella saß nun einfach da, der Kopf leer, die Augen müde. Der Nebel in ihrem Geist war fast genauso wie der, den sie von Sergios Fotos kannte – ein Nebel, der sie immer wieder einhüllte, sie aber nie wirklich vorwärts führte.

Nach dem letzten Bissen der lauwarmen Pizza ließ Isabella die Gabel achtlos auf dem Teller liegen. Der Fernseher lief noch, irgendeine belanglose Casting-Show flimmerte über den Bildschirm, doch sie hörte nicht mehr hin. Etwas arbeitete in ihr. Es war ein leises Kribbeln, ein kaum greifbares Unbehagen, das sich unter der gewohnten Trägheit regte. Der Blogeintrag, den sie am Vormittag im Büro gelesen hatte – dieser neblige Waldpfad, Sergios Worte über seinen Urgroßvater – all das hatte sich wie ein kleiner Widerhaken in ihrem Innersten festgesetzt.

Abspann:
„Auch dieser Abend wird vorübergehen. Doch in Isabellas Innerem regt sich längst etwas, das sich nicht mehr wegwischen lässt — nicht einmal vom nächsten Morgen.“

Wenn ein Satz hängen geblieben ist,
wenn etwas in dir nachhallt,
dann schreib es gern hier unten.
Keine Pflicht. Nur, wenn du magst.

Die nächsten Kapitel kommen
immer sonntags, wenn der Nebel noch tief hängt.

Alle Kapitel in der Übersicht →
Zur Übersicht aller Kapitel →

Von Andrea Baer

Ich lebe in diesem Haus aus Worten und baue es Buchstabe für Buchstabe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner