Vorspann:
„Es ist nur ein Gedanke, nicht mehr. Und doch hebt er die Schwere in Isabellas Brust für einen Moment an. Was wäre, wenn dieser Mann ihr Leben verändern könnte?“

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Isabella stellte sich vor, wie es wäre, mit ihm zu sprechen – nicht nur über seine Reisen, sondern über all die tiefen Fragen, die unter seiner Oberfläche verborgen waren. Wie wäre es, ihn endlich zu fragen, was ihm wirklich fehlte, was er in all diesen Jahren der Suche über sich selbst gelernt hatte? Wäre sie dann jemand, der ihm half, die Antworten zu finden? Oder würde sie nur eine stille Begleiterin bleiben, die zu den Orten ging, die er mit so viel Sehnsucht aufsuchte?

Und dann, in einem unerwarteten Moment der Klarheit, dachte sie: Was, wenn er sie nicht nur als Reisepartnerin wollte? Was, wenn er sie als mehr sehen würde? Vielleicht könnte sie diejenige sein, die ihm das Gefühl von Zuhause gibt, das er nie gefunden hat, obwohl er es immer gesucht hat. Vielleicht könnte sie ihm den Halt bieten, den er brauchte, um seine eigene Geschichte zu begreifen. Vielleicht brauchte er sie genauso wie sie ihn – jemanden, der ihn verstand, ohne all die Worte, die er nie hatte.

Der Gedanke stieg in ihr auf wie eine Welle – ein wildes, unbändiges Gefühl von Möglichkeit, von Leben, von der unerforschten Freiheit, die sie in seiner Welt fand. Es war ein fremdes Gefühl, dieses sich selbst als Teil eines anderen Lebens zu sehen. Doch es fühlte sich auch richtig an, als ob sie endlich einen Ort gefunden hätte, an dem sie nicht mehr nur eine Randfigur war, sondern ein Teil eines größeren Bildes.

Und in diesem Moment, als sie sich vorstellte, an seiner Seite durch den Nebel zu gehen, schien alles so weit entfernt, und doch so nah. Es war, als könnte sie den feuchten Boden unter ihren Füßen förmlich spüren, die kühle Luft einatmen. Vielleicht war sie noch nicht bereit, diesen Schritt zu tun – aber vielleicht, dachte sie, war es der einzige Schritt, den sie jetzt noch tun konnte.

In dem stillen, schwachen Licht ihres Zimmers begann ein neuer Gedanke in Isabella zu keimen – schüchtern, aber unaufhaltsam. Es war kein klarer Plan, keine greifbare Entscheidung, sondern ein vager Funke, der tief in ihr aufblitzte, wie ein unbemerkter Stern, der sich langsam in den Vordergrund drängte.

Die Vorstellung, Teil von Sergios Leben zu sein, hatte etwas in ihr geweckt – etwas, das lange im Verborgenen geschlummert hatte. Eine Sehnsucht, die sie nicht kannte, weil sie nie wusste, dass sie überhaupt existierte. Es war nicht nur das Verlangen nach Abenteuer oder der Wunsch, etwas anderes zu tun, es war mehr. Es war der Wunsch nach Veränderung. Der Wunsch, aus der Dunkelheit ihres gewohnten Lebens herauszutreten und in eine Welt einzutauchen, die nicht so festgelegt, so festgefahren war. Eine Welt, in der Geschichten erzählt wurden, in der der Nebel über den Wäldern eine Bedeutung hatte, in der Fragen gestellt wurden, auch wenn die Antworten noch nicht greifbar waren.

Isabella lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Sie spürte, wie der Druck, der sonst immer auf ihrer Brust lastete, nachließ – als ob dieser Funke der Sehnsucht, den sie so lange nicht zugelassen hatte, nun etwas in Bewegung setzte. Vielleicht war es der Gedanke, dass auch sie mehr wollte als nur die monotone Abfolge von Arbeit, Stille und Einsamkeit. Vielleicht war es der Wunsch, zu spüren, dass es noch mehr gab, dass sie noch mehr sein konnte, als sie sich jemals erlaubt hatte.

Sie dachte an die fremden Orte, die sie nie betreten hatte, an die Geschichten, die sie nie gehört hatte. Sie dachte an Sergio, an seine Suche nach dem Unbekannten, an seinen Blick auf die Vergangenheit, die ihm entglitten war. Und in einem flimmernden Moment fühlte sie sich mit ihm verbunden – nicht als die Frau, die gerade in ihrer Wohnung saß, sondern als jemand, der sich selbst die Freiheit gab, eine neue Richtung einzuschlagen.

Der Funke, der in ihr auflodert war, war kein Feuer, das sofort alles verwandelte. Aber er war der erste Schritt. Es war der Beginn einer Veränderung, die so klein und gleichzeitig so groß war, dass sie es nicht sofort greifen konnte. Aber sie wusste, dass es nicht bei diesem Gedanken bleiben würde. Irgendetwas hatte sich in ihr verändert – und sie fühlte es in jeder Faser ihres Körpers.

Isabella griff nach ihrem Handy und öffnete erneut Sergios Blog. Ihr Blick glitt über die Worte, die sie so lange nicht beachtet hatte. Und während sie die Zeilen las, wusste sie, dass dieser Funke in ihr nicht mehr zu löschen war. Ein neuer Wunsch war entfacht, eine Neugier, die ihr Herz schneller schlagen ließ. Vielleicht würde sie wirklich reisen. Vielleicht würde sie nach Spanien fliegen und den Nebel auf einem Waldpfad spüren. Vielleicht würde sie den ersten Schritt tun, um sich selbst in dieser Geschichte zu finden.

In diesem Moment war es ihr egal, wie verrückt es sich anfühlte. Sie wollte einfach wissen, was jenseits der grauen Wände ihres Lebens lag. Sie wollte wissen, ob es da draußen etwas gab, das sie mehr lebendig fühlen ließ, etwas, das sie dazu brachte, aufzuwachen und zu atmen, als wäre sie mehr als nur ein flimmernder Schatten in ihrem eigenen Leben. Und vielleicht, dachte sie, war der erste Schritt dazu, diesen Blog weiter zu verfolgen, diesen Mann kennenzulernen und sich selbst die Freiheit zu erlauben, zu träumen.

Langsam legte sie das Handy zur Seite und blickte nachdenklich auf das Bild von Sergio, das auf dem Bildschirm stand – ein Mann, der durch Nebel ging. Der auf der Suche war. Und jetzt wusste sie, dass auch sie auf der Suche war.

Abspann:
Es war nur ein Gedanke. Doch manchmal reicht ein Gedanke, um etwas in Bewegung zu setzen – leise, unbemerkt, aber unumkehrbar.

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Von Andrea Baer

Ich lebe in diesem Haus aus Worten und baue es Buchstabe für Buchstabe.

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