Vorspann
Nach den langen Tagen der Suche und des Zweifelns findet Isabella in der Ferne etwas, das sie nicht erwartet hat – eine leise, wachsende Vertrautheit. Zwischen Küstenwind, Terrakotta und dem Duft von Kaffee beginnt sie zu begreifen, was es wirklich heißt, anzukommen.
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Heimat in der Ferne
Die ersten Tage in Spanien waren ein bunter Mix aus Staunen und Unsicherheit gewesen. Isabella hatte sich verloren gefühlt in der fremden Sprache, in den unbekannten Gerüchen, in der neuen, fast überwältigenden Schönheit der Landschaft. Aber langsam, ganz langsam, begann sich etwas zu verändern. Es war ein langsames Einpendeln, ein Sich-Hineinfinden, das sie noch nie zuvor in ihrem Leben so intensiv erlebt hatte.
Der Ort, in dem sie sich jetzt befand, war klein und versteckt, eine verschlafene Ecke der nordspanischen Küste. Die Häuser, die sich an die Hügel schmiegten, hatten die warme Farbe von Terrakotta, und die Dächer glänzten im Sonnenlicht, das manchmal durch die Wolken brach und die Welt in goldene Töne tauchte. In den engen Gassen konnte man noch den Hauch der Geschichte spüren – alte, verwitterte Türen, geschnitzte Fensterrahmen und die flimmernden Schatten der Bäume, die die Straßen säumten.
Isabella hatte sich in den letzten Tagen mit den Gegebenheiten des Lebens dort angefreundet. Jeden Morgen stand sie früh auf und ging in das kleine Café an der Ecke, das einen herrlichen Blick auf das Meer hatte. Der Geruch von frisch gebackenem Brot und starkem Kaffee empfing sie dort immer, und sie fand Trost in der vertrauten Routine. Es war nicht die gleiche bleierne Monotonie wie in ihrer Heimatstadt. Es war lebendig. In der Stille der Morgenstunden schien sie sich mit der Umgebung zu verbinden, als gehörte sie hierher.
In den Nächten, wenn der Wind von der Küste her wehte und das Rauschen der Wellen das einzige Geräusch war, das die Stille durchbrach, fühlte sie sich plötzlich nicht mehr wie eine Fremde. Sie hatte das Gefühl, dass dieser Ort ein Teil von ihr geworden war, als ob er schon immer in ihr gewesen war, irgendwo tief in ihrer Seele.
Isabella erkannte, dass sie sich auf dieser Reise nicht nur mit der spanischen Landschaft, sondern auch mit sich selbst versöhnte. Die Menschen in dem kleinen Ort, in dem sie sich nun aufhielt, waren freundlich, aber sie spürte eine gewisse Distanz, die sie selbst nicht überbrücken konnte. Sie war hier nicht für sie, sondern für sich selbst. Und das war der Unterschied.
Jeden Tag unternahm sie kleine Erkundungstouren, setzte sich auf Bänke und sah den Menschen zu, die ihren täglichen Pflichten nachgingen. Die Frauen, die den Markt überfluteten, die Männer, die den Staub der Straße fegten, die Kinder, die in den Gassen spielten – sie alle trugen etwas mit sich, das Isabella wie ein stilles Band miteinander verband. Sie fühlte sich inmitten all dieser Fremden weniger allein.
Besonders an den Nachmittagen, wenn die Sonne den Himmel in zarten Rosa- und Orangetönen färbte, ging Isabella auf die kleinen Hügel rund um das Dorf. Von dort aus konnte sie das Meer sehen, das in der Ferne wie ein flimmerndes Band wirkte. An diesen Momenten fühlte sie eine tiefere Verbundenheit zu der Landschaft, eine leise Sehnsucht, die sie nie gekannt hatte.
„Ich fühle mich hier zuhause“, sagte sie eines Abends zu Sergio, als sie zusammen in einem kleinen Restaurant saßen, das mit seinen bunten Fliesen und holzvertäfelten Wänden die Atmosphäre eines gemütlichen Heimathafens versprühte.
Sergio sah sie mit einem fast nachdenklichen Blick an. „Echt? Das ist… schön. Aber es ist auch etwas, das Zeit braucht, oder?“
„Ja, sicher“, antwortete Isabella. „Es war nicht sofort da, aber es hat sich entwickelt. Jeden Tag ein bisschen mehr. Irgendwann merkt man, dass man nicht nur im Land lebt, sondern dass dieses Land auch in einem lebt.“
„Das ist poetisch“, sagte Sergio, lächelte dann jedoch leicht und lehnte sich zurück. „Vielleicht gibt es hier tatsächlich eine Art von Magie. Ein Stück von uns, das wir in den Orten finden, an denen wir uns verlieren.“
„Und manchmal“, sagte Isabella, „findet man sich selbst wieder, nicht nur in der Welt, sondern auch in einem anderen Land, an einem anderen Ort. Hier habe ich etwas entdeckt, das in mir geschlummert hat.“
Sergio nickte nachdenklich, dann strahlte er einen Moment lang, als hätte er in ihren Worten etwas erkannt, das er selbst gesucht hatte. Es war eine Art Anerkennung – nicht nur für den Ort, sondern auch für die Reise, die sie beide auf eine Art und Weise gemeinsam unternahmen, auch wenn ihre Wege sich immer wieder trennten.
In diesen Momenten, wenn sie miteinander sprachen oder einfach nebeneinander saßen, hatte Isabella das Gefühl, dass sie nicht nur in Spanien, sondern auch in ihrem Leben endlich den Ort gefunden hatte, an dem sie wirklich war. Es war nicht nur der physische Ort, sondern der Platz, den sie in ihrem eigenen Herzen eingenommen hatte – ein Platz, an dem sie sich selbst finden konnte, fernab von all den Erwartungen und der Monotonie, die sie zurückgelassen hatte.
Und so, während der Wind über das Meer strich und die Sonne langsam hinter den Hügeln versank, wusste Isabella: Sie hatte endlich ihren Platz gefunden, einen Ort, an dem sie sich zuhause fühlte – und in diesem Zuhause war sie mehr sie selbst als je zuvor.
Abspann
Es ist kein spektakulärer Neubeginn, sondern ein stilles Heimischwerden – nicht an einem Ort, sondern in sich selbst. Während der Abend über das Meer sinkt, erkennt Isabella, dass Zugehörigkeit kein Ziel ist, sondern ein Zustand des Herzens.
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