Isabella sitzt auf dem Sofa im spärlich beleuchteten Wohnzimmer. Sie hat die Hände vors Gesicht geschlagen und weint.
Trennung als Neuanfang?

Vorspann

Manchmal kippt ein Moment, und nichts ist mehr, wie es war.
Sergio will weiter, Isabella will bleiben – zwei Richtungen, ein stiller Bruch in der Nacht.
Was bleibt, wenn die Wege sich trennen und die Stille lauter ist als jedes Wort?

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Akt IV

Auf der Kippe

Es war ein dieser Momente, die still und doch tief wie ein Riss durch die Luft gingen. Der Abend hatte bereits seine Kühle über die kleine Stadt gelegt, die Gassen waren von den letzten Touristen befreit und das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf dem nassen Asphalt. Sergio und Isabella gingen nebeneinander, doch es war, als würde eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen stehen.

„Ich habe die Flüge gebucht“, sagte Sergio plötzlich, ohne Isabella anzusehen. „Wir fliegen nach Madrid. Ich möchte weiterreisen. Ich kann hier nicht bleiben, nicht jetzt.“

Isabella hielt abrupt an, ihre Hand ballte sich zu einer Faust, die sie an ihre Seite presste. „Und was ist mit uns? Was ist mit dem, was wir hier haben? Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht, und jetzt soll alles einfach vorbei sein?“

Sergio drehte sich zu ihr, seine Augen verfinsterten sich. „Du verstehst es nicht. Ich kann hier nicht bleiben. Ich muss weiter. Es geht nicht nur um diese Reise oder um meine Familie. Es geht um alles. Ich finde nicht, was ich suche, wenn ich immer an einem Ort bleibe.“

Isabella fühlte, wie sich ein scharfer Schmerz in ihrer Brust ausbreitete, als hätte sie etwas verloren, bevor sie es wirklich hatte. Sie trat einen Schritt zurück, als wollte sie den Abstand zwischen ihnen, der sich plötzlich so groß anfühlte, überbrücken. „Und was ist mit mir? Was ist mit uns? Du bist die ganze Zeit hier – warum kannst du nicht einfach bleiben, um herauszufinden, was du wirklich willst?“

Sergio seufzte, seine Schultern sanken leicht nach unten, als würde der Druck auf ihm zunehmen. „Es ist nicht so einfach, Isabella. Du weißt nicht, was es heißt, ständig auf der Suche zu sein. Du verstehst es nicht. Du hast deine Wohnung, deinen Job, deine Sicherheit. Aber was, wenn ich das nicht will? Was, wenn ich nie wirklich weiß, wo ich hingehöre?“

„Und ich weiß nicht, was es heißt, auf der Suche zu sein?“ Isabella lachte bitter. „Weißt du, was ich suche? Ein bisschen von dem, was du gefunden hast. Diese Leichtigkeit, diese Freiheit, die du in dir trägst. Aber das bedeutet nicht, dass ich dir nachfolgen will, ohne zu wissen, wohin wir gehen!“

Sie trat einen Schritt näher an ihn heran, die Wut und Enttäuschung in ihrer Stimme. „Du hast mich mitgenommen, aber du bist nie wirklich da. Immer unterwegs, immer auf der Flucht. Ich will wissen, was das für uns bedeutet. Aber du bist schon wieder bereit, weiterzugehen.“

Sergio starrte sie einen Moment lang an, als wäre er unschlüssig, was er sagen sollte. Dann legte er die Hände in die Taschen seiner Jacke. „Du verstehst das alles falsch. Ich… ich will nicht fliehen. Aber ich kann nicht stillstehen. Ich muss weitermachen. Ich kann mich nicht mit weniger zufrieden geben. Ich kann nicht hierbleiben, nur weil du es dir wünschst.“

Isabella biss sich auf die Lippen. Ihre Augen brannten, und sie spürte, wie ein Kloß in ihrem Hals wuchs. „Ich will nicht, dass du bleibst, weil du es mir schuldig bist“, sagte sie leise. „Aber ich dachte, vielleicht… vielleicht gibt es einen Ort, an dem wir beide bleiben können. An dem du nicht immer weiterziehen musst.“

Sergio senkte den Blick, und der Schmerz in seinen Augen war unverkennbar. „Ich weiß nicht, Isabella. Ich weiß nicht, was ich will. Und ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Aber ich kann nicht so tun, als ob alles einfach perfekt ist. Ich kann dir nicht versprechen, dass ich hierbleibe.“

Der Moment schien zu verharren, als könnte keine der beiden eine Entscheidung treffen. Isabella drehte sich langsam um und begann zu gehen, ohne ein weiteres Wort. Sergio blieb zurück, der Klang ihrer Schritte hallte in der Dunkelheit wider, als ob er sie in einem leeren Raum hinter sich ließ.

Während sie durch die Straßen ging, wusste Isabella nicht, ob sie weinen oder schreien sollte. Die Leere, die sie fühlte, war mehr als nur der Verlust eines Moments – es war der Verlust einer Verbindung, die sie zu finden geglaubt hatte. Sie hatte geglaubt, dass sie Teil von Sergios Welt werden konnte, dass sie für einen Augenblick in seine Suche eintauchen und sich an seiner Seite finden könnte. Doch jetzt schien alles fraglich, als wäre der Weg, den sie mit ihm gegangen war, plötzlich unsicher.

Sie wusste, dass sie nicht nachgeben konnte. Sie konnte nicht den Rest ihrer eigenen Suche aufgeben, nur um ihm zu folgen. Aber es tat weh, die Distanz zwischen ihnen zu spüren. Eine Distanz, die nie ganz überbrückt werden konnte.

Rückkehr

Isabellas Schlüssel klickte leise im Schloss, als sie die Wohnungstür aufstieß. Es war spät, die Luft draußen kühl, der Himmel bleiern und schwer, als hätte der Frühling Spanien zurückgelassen. Die vertraute Stille schlug ihr entgegen, so fest und endgültig wie eine geschlossene Tür.

Drinnen roch es nach Staub und abgestandener Luft. Die Möbel standen noch genau wie vorher – das schmale Sofa unter dem Fenster, der kleine Tisch, der einst makellos gewischt war, und die Bücherregale, deren Ordnung sie früher beruhigt hatte. Jetzt wirkte alles fremd, ausgeleuchtet von einem trüben Dämmerlicht, das durch die Vorhänge sickerte. Die Wohnung war nicht mehr ein sicherer Ort, sondern eine Kulisse, in der die Zeit stillgestanden hatte, während sie fort gewesen war.

Sie ließ den Koffer im Flur stehen und ging langsam ins Wohnzimmer. Ihre Schritte klangen dumpf auf dem Laminat. Mit zittrigen Fingern zog sie ihren Mantel aus, ließ ihn achtlos über die Sessellehne fallen. Dann setzte sie sich auf das Sofa, genau dorthin, wo sie vor Monaten zum ersten Mal auf Sergios Blog gestoßen war. Es fühlte sich an wie das Leben einer anderen Frau.

Ein Kloß schnürte ihr die Kehle zu. Es war nicht nur der Schmerz der Trennung, nicht nur die Enttäuschung über seine Unfähigkeit, zu bleiben. Es war die Erkenntnis, dass sie sich geöffnet hatte – mehr, als sie je für möglich gehalten hätte – und dass er es nicht hatte halten können. Sie hatte geglaubt, sie wären gemeinsam an einem Wendepunkt. Stattdessen hatte er wieder die Flucht ergriffen, während sie zum ersten Mal bereit gewesen war, zu bleiben.

Der Rückflug war ein Nebel aus Leere gewesen. Keine Tränen im Flugzeug, keine Musik im Ohr, keine Gedanken, die klar werden wollten. Nur das Dröhnen der Turbinen und das langsame Sinken ihrer Hoffnung. Jetzt erst, zurück in diesem sterilen, aufgeräumten Zuhause, ließ die Fassade nach.

Sie weinte nicht sofort. Zuerst war da nur das Dröhnen im Kopf, das Kratzen in der Kehle, das starre Sitzen, während draußen ein Auto vorbeifuhr, dann noch eins. Geräusche, die früher nichts bedeuteten, taten plötzlich weh. Erst als sie in die Küche ging, um sich mechanisch ein Glas Wasser einzuschenken, zitterten ihre Hände. Das Glas fiel in die Spüle und zerschellte mit einem leisen Klang – gerade laut genug, um etwas in ihr zu brechen.

Und dann kamen die Tränen. Laut, ungefiltert, wild. Sie sank an den Küchenschrank, ließ sich auf den kalten Fliesenboden gleiten und presste das Gesicht in die Hände. Sie schluchzte wie jemand, der etwas verloren hat, das mehr war als eine Person – vielleicht ein Teil von sich selbst.

Denn das war es: Sie hatte geglaubt, dass diese Reise sie zu einem neuen Leben führen würde. Dass sie mit Sergio nicht nur einen Mann gefunden hatte, sondern auch eine andere Version ihrer selbst – mutiger, wärmer, lebendiger. Und jetzt? Jetzt war sie allein, und die Angst kehrte zurück. Die Angst, dass es vielleicht doch nur ein Traum gewesen war. Eine vorübergehende Flucht.

Stunden später lag sie auf dem Sofa, die Augen rot, der Körper leer. Sie wusste, dass der Schmerz nicht sofort vergehen würde. Vielleicht nie ganz. Aber sie wusste auch, dass sie sich verändert hatte – und dass dieser Schmerz der Preis dafür war.

Sie blickte zur Decke. Sie war zurück. Aber sie war nicht mehr dieselbe.
Und irgendwo, tief unter dem Schmerz, war noch etwas anderes. Etwas, das leise brannte. Ein kleines, trotziges Licht. Nicht Hoffnung – noch nicht. Aber vielleicht: ein Anfang.

Abspann

Isabella kehrt zurück in ihr altes Leben – äußerlich unverändert, innerlich verwandelt.
Zwischen den Rissen des Verlusts beginnt etwas Neues zu glimmen: kein Trost, keine Hoffnung, nur das zarte Wissen, dass Schmerz auch ein Anfang sein kann.

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Von Andrea Baer

Ich lebe in diesem Haus aus Worten und baue es Buchstabe für Buchstabe.

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