Kapitel 7 – Die Sprache dazwischen
Vorspann:
„Isabellas Welt beginnt sich zu verschieben. Zwischen Fehlern, Rückfragen und zögernden Worten wächst ein zarter Faden – und die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen.“
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Er hatte geantwortet.
Langsam, fast zögerlich öffnete sie die Nachricht. Sie hatte sich nicht viel erwartet – vielleicht ein kurzes, höfliches „Danke“ oder gar nichts. Aber das, was sie dann las, ließ ihren Atem stocken:
„Ich danke dir für deine Worte. Sie haben mich berührt. Der Waldweg, den ich beschrieben habe, ist ein Ort der Erinnerung für mich, aber auch ein Ort des Suchens. Ich hoffe, du findest auch deinen eigenen Pfad, der dich zu dem führt, was du suchst.“
Isabella starrte auf den Bildschirm. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Hatte er das geschrieben? Und was meinte er mit „deinen eigenen Pfad finden“? Es fühlte sich an, als wäre sie plötzlich in einer Geschichte, die nicht mehr nur von ihm handelte, sondern auch von ihr. Als hätte er sie in seinen Worten gesehen, als hätte er ihre Sehnsüchte erkannt, auch ohne sie zu kennen.
In diesem Moment war es, als würde sie von der Zeit selbst eingeholt werden. Die Geräusche der Kaffeeküche, das Gespräch ihrer Kolleginnen über das Wochenende, das Lachen und die Hektik – all das war plötzlich weit entfernt, verschwommener, leiser. Sie war nur noch hier, mit diesem kurzen Satz von Sergio, der mehr sagte, als sie erwartet hatte.
Schnell tippte sie eine Antwort, aber ihre Finger zitterten so sehr, dass sie den Text immer wieder löschte. Wie antwortete man auf etwas, das einen so unerwartet tief traf? Schließlich ließ sie es einfach bei einem einfachen, ehrlichen Satz:
„Danke für deine Worte. Sie haben etwas in mir angestoßen.“
Isabella drückte auf „Absenden“, legte das Handy zur Seite und atmete tief durch. Ihre Gedanken waren noch immer wirr, aber sie wusste, dass etwas in ihr begonnen hatte, sich zu verändern. Vielleicht war es der Beginn von etwas, das sie nicht ganz fassen konnte, aber es fühlte sich an, als würde sie gerade einen ersten Schritt in eine Richtung machen, die sie schon lange vermieden hatte.
Als sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte, hatte sie das Gefühl, dass der Nebel, der solange ihr Leben verhüllt hatte, ein wenig dünner geworden war.
Die nächsten Tage vergingen in einer seltsamen Mischung aus Routine und Erwartung. Isabella fand sich immer wieder dabei, nach den Nachrichten von Sergio zu sehen, als wäre ihr Tag nicht vollständig, wenn sie nicht ein kleines Stück von ihm auf ihrem Bildschirm entdeckte.
Die Kommunikation war anfangs vorsichtig und zurückhaltend, doch die Worte, die sie austauschten, begannen, eine Verbindung zu spinnen. Es war jedoch nicht einfach, vor allem wegen der Sprachbarriere. Isabella, die nur ein paar Grundkenntnisse in Spanisch hatte, kämpfte sich durch die Nachrichten, die immer wieder unklar blieben. Und Sergio, dessen Englisch zwar gut war, aber nicht perfekt, konnte oft nur schwer ausdrücken, was er wirklich sagen wollte. Isabellas Englisch war nicht besser als ihr Spanisch. Die Missverständnisse waren häufig und zwangen sie dazu, ihre Nachrichten immer wieder zu überdenken und umzuschreiben.
Trotz dieser Hürden schafften sie es, sich in einfachen Sätzen mitzuteilen. Jeder Austausch war wie ein kleines Abenteuer, bei dem Isabella sich manchmal fühlte, als würde sie ein Rätsel lösen. Sie lachte über ihre eigenen Versuche, sich in Spanisch auszudrücken, und gleichzeitig fühlte sie sich von der Authentizität seiner Worte angezogen. Es war, als würde jeder Satz, den sie las, sie ein Stück mehr in seine Welt ziehen.
In einer seiner ersten E-Mails fragte Sergio sie nach ihrem Leben, ihren Träumen, nach dem, was sie antreibt. Sie antwortete, indem sie von ihrem Bürojob und dem alltäglichen Trott erzählte, aber auch von dem Gefühl, dass mehr in ihr steckte, als sie sich zutraute zu leben. Es war schwer, sich ganz zu öffnen, besonders in einer Sprache, die nicht ihre eigene war, aber sie versuchte es trotzdem.
„Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Leben einen Weg verloren habe“, schrieb sie in ihrer Nachricht. „Ich bin mir nicht sicher, wo er ist oder wie ich ihn finden kann. Aber du… du gehst auf deiner Reise, und das beeindruckt mich sehr.“
Sergios Antwort kam schneller als erwartet. Sie las seine Worte, die sich fast wie ein Puzzle anfühlten, da sie in seinem Spanisch oft ein wenig aufräumen musste. Aber sie konnte den Schmerz und die Sehnsucht hinter seinen Zeilen fühlen.
„Ich verstehe. Ich habe meine eigene Suche auch nicht gefunden, Isabella. Vielleicht ist das Leben wie ein Weg durch den Nebel. Wir können nur den nächsten Schritt sehen, aber nicht wissen, wohin er uns führt. Aber wir müssen weitergehen.“
Isabella starrte auf den Bildschirm. Seine Worte waren so einfach, so ehrlich, aber sie trugen eine Schwere in sich, die sie tief berührte. Sie wollte mehr wissen, wollte mehr verstehen, aber die Sprache war ein ständiges Hindernis. Die Worte, die sie lesen konnte, reichten nur bis zu einem gewissen Punkt, dann musste sie den Rest erahnen.
Sie nahm sich Zeit, eine Antwort zu formulieren, die mehr war als nur ein paar kurze Sätze. Sie wollte ihm etwas von sich zeigen, etwas, das sie selbst kaum fassen konnte.
„Vielleicht ist das der Grund, warum ich deinen Blog lese“, schrieb sie. „Du gehst durch den Nebel, du suchst etwas, das du noch nicht gefunden hast, und das fühlt sich so nah an, als könnte ich es auch suchen. Vielleicht ist es nicht der Weg, der wichtig ist, sondern die Bereitschaft, sich auf die Reise zu begeben.“
Isabella drückte auf „Absenden“ und lehnte sich zurück. Sie wusste, dass das, was sie schrieb, nicht perfekt war, aber es war wahr. Und vielleicht war es das, was zählte.
Es gab noch immer viele Missverständnisse in ihren Nachrichten, und oft musste sie Geduld mit sich selbst und mit ihm haben, aber irgendwie fühlte sie sich, als würden sie sich ein kleines Stück näherkommen – trotz der Barrieren. Und vielleicht war es genau das, was sie gerade brauchte.
Die Stunden vergingen wie im Flug, während Isabella sich heimlich auf den Weg in eine neue Welt machte. Jeden Abend, nach dem Erledigen ihrer abendlichen Routine – der leeren Wohnung, dem mikrowellenfertigen Abendessen und den Programmen im Fernsehen, die sie immer mehr nur noch passiv nebenbei verfolgte – zog sie an ihren Schreibtisch zurück, um mit dem Spanischlernen zu beginnen.
Abspann:
„Vielleicht ist es nicht das Verstehen, das Nähe schafft – sondern der Wunsch, gehört zu werden.“
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