Sergio

Ein Haus in Oviedo. Auf den Platz davor steht ein Stuhl, keine Menschen zu sehen.

Kapitel 15 – Ein Platz, der nicht mehr leer ist

Vorspann:

Oviedo im Licht eines stillen Vormittags.
Alte Balkone, flatternde Tücher, das Echo früherer Schritte.
Isabella und Sergio schweigen mehr, als sie sprechen –
und doch rückt etwas näher, das lange fern war:
ein Gefühl von Vertrautheit,
ein Schatten von Erinnerung,
ein Platz, der nicht mehr leer ist.

Zurück zu Kapitel 14 – Zögernde Schritte

Pflastersteine und erste Worte

Die Altstadt von Oviedo wirkte wie aus einem anderen Jahrhundert. Kopfsteinpflaster, das bei jedem Schritt unter Isabellas Schuhen leise klackte, Häuser mit schmiedeeisernen Balkonen, an denen bunte Wäsche flatterte. Die Straßen waren eng, aber voller Leben: Alte Männer spielten Domino vor Cafés, ein Straßenmusiker zupfte eine melancholische Melodie auf seiner Gitarre, irgendwo roch es nach gerösteten Maronen.

Sergio ging neben ihr, in entspanntem Tempo. Immer wieder zeigte er auf etwas – eine geschnitzte Tür, eine winzige Bäckerei mit seit Generationen unverändertem Schaufenster – und erzählte kleine Anekdoten. Mal auf Englisch, mal auf Spanisch, während Isabella versuchte, die Bruchstücke zu verstehen. Sie fragte nach, manchmal nur mit einem Blick, einem Stirnrunzeln – und er wiederholte geduldig, mit Händen, mit Lächeln.

„Diese Straße hier“, sagte er und zeigte auf eine besonders verwinkelte Gasse, „ist wie mein Gedächtnis. Ungeordnet, manchmal verloren, aber voller Geschichten.“

Isabella schwieg. Nicht, weil ihr nichts einfiel, sondern weil sie das Gefühl hatte, er meinte damit mehr als nur die Straße.
„Hast du schon Orte gefunden, die dich… erinnern?“ fragte sie vorsichtig.

Er zuckte mit den Schultern. „Ein paar. Oder vielleicht bilde ich es mir ein. Manchmal weiß man nicht, ob man etwas erkennt – oder ob man es sich nur wünscht.“

Sie nickte. Diese Art von Suche war ihr nicht fremd, nur hatte sie sie lange ignoriert.

Einige Minuten gingen sie schweigend weiter. Dann fragte er: „Und du? Wie ist deine Stadt?“

Isabella schnaubte leise. „Grau. Flach. Und die Menschen schauen selten nach oben.“
Sergio lachte. „Dann passt du nicht dorthin. Du schaust oft nach oben.“

Sie errötete, überrascht, dass er das bemerkt hatte.

Als sie später vor einer kleinen Kapelle standen und Sergio ihr erklärte, dass sie aus dem 9. Jahrhundert stammte, berührte Isabella zum ersten Mal eine der rauen Steinmauern. Sie schloss kurz die Augen, fühlte die Kühle unter ihren Fingern, die Geschichte. Neben ihr schwieg Sergio, und sie hatte das Gefühl, dass er genau verstand, was sie in diesem Moment suchte.

Es war kein spektakulärer Spaziergang. Keine großen Offenbarungen. Aber es war ein Anfang – auf alten Wegen, mit vorsichtigen Worten, getragen von einer Stille, die kein Unbehagen bedeutete.

Geschichten in der Nachmittagssonne

Sie saßen auf einer kleinen Steinmauer oberhalb der Altstadt, mit Blick auf die hügelige Landschaft Asturiens. Die Nachmittagssonne lag warm auf den roten Dächern, während unten in der Ferne die Glocken der Kathedrale läuteten. Es war ruhig. Nur ab und zu wehte eine Brise herüber und spielte mit einer Haarsträhne in Isabellas Gesicht. Sergio beobachtete sie kurz, sagte aber nichts.

„Ich habe lange gedacht, dass mein Leben so bleiben muss, wie es ist“, begann sie schließlich, leise. „Gelsenkirchen, Bürojob, allein. Kein Drama. Kein Aufbruch. Einfach… durchhalten.“

Sergio antwortete nicht sofort. Stattdessen reichte er ihr eine Feige, die er auf dem Markt gekauft hatte. Sie nahm sie, biss hinein. Sie schmeckte süß, weich, überraschend.

„Und warum nicht mehr?“ fragte er dann.

„Weil niemand mir je gesagt hat, dass mehr möglich ist. Oder dass ich es darf.“
Sie schaute auf ihre Hände. „Bis ich deinen Blog gelesen habe.“

Er sah sie an, ernst. „Das war nie meine Absicht. Ich wollte nur… verstehen, woher ich komme.“

Sie nickte. „Aber genau das hat mich berührt. Du bist auf der Suche. Nicht nur nach einem Ort, sondern nach einer Geschichte. Nach einer Wahrheit.“

Sergio lächelte flüchtig. „Mein Urgroßvater ist 1947 verschwunden. Einfach nicht mehr zurückgekehrt. Niemand sprach darüber. Aber ich habe als Kind gespürt, dass da etwas Ungesagtes war. Etwas, das fehlt. Und irgendwie glaube ich, dass der Wald damals in Galicien… dass er mehr wusste als ich.“

Isabella sah ihn erstaunt an.
„Der Wald?“

„Ja“, sagte Sergio. „Er war neblig, still. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich nicht allein war. Als wäre mein Uropa da. Nicht sichtbar, aber irgendwie… fühlbar.“

Eine Weile schwiegen sie. Nur das entfernte Kreischen einer Möwe war zu hören.

„Ich habe niemanden verloren“, sagte Isabella dann. „Aber ich habe mich selbst irgendwann verlegt. Zwischen Excel-Tabellen, SAP und Kaffeetassen.“

„Und jetzt?“

Sie sah ihn an.
„Jetzt versuche ich, mich wiederzufinden. Vielleicht auf demselben Weg, den du gehst. Oder einem ganz anderen.“

Sergio nickte langsam. „Vielleicht treffen sich Wege manchmal. Für einen Moment. Und das reicht.“

Sie spürte, wie sich etwas in ihr verschob – eine Art innerer Platz, der bisher leer gewesen war. Nicht vollständig gefüllt, aber nicht mehr leer. Sie blickte in den Himmel. Keine Gewissheit. Aber ein Anfang.

Abspann:

Manchmal verändert sich nichts –
und doch ist danach alles anders.
Ein Gespräch, ein Blick, ein geteiltes Schweigen.
Die Stadt bleibt dieselbe.
Aber der Platz in uns beginnt, sich zu füllen.

Hat Dich dieses Kapitel berührt, irritiert oder neugierig gemacht?
Dann teile Deine Gedanken gern in den Kommentaren. Wenn Du anderen davon erzählen möchtest, hilfst Du Encina Alta dabei, sich weiter zu entfalten – durch ein Like, einen Repost oder einen Hinweis an Freund:innen.

Neue Kapitel erscheinen jeden Sonntag.
Folge dem Weg – Schritt für Schritt, Wort für Wort.
Zur Übersicht aller Kapitel →

Ein startendes Flugzeug im Sonnenuntergang von einem Fenster aus gesehen

Kapitel 12 – Bleib nicht stehen

📖 Vorspann:
Ein Satz, eine Antwort – und plötzlich bewegt sich etwas. Isabella wagt den ersten unwiderruflichen Schritt hinaus aus ihrem alten Leben.

Zurück zu Kapitel 11 – Karten im Kopf

Ein Lichtstreif im Posteingang

Isabella saß am nächsten Tag noch lange vor dem Bildschirm, obwohl ihre Aufgaben längst erledigt waren. Die Worte von Frau Klenke hallten in ihr nach wie ein Echo, das sich nicht abschütteln ließ. Fehler. Konzentration. Verlässlichkeit. Alles klang wie ein Urteil über ihr ganzes Leben, nicht nur über eine Tabelle.

Und dazwischen blitzten, wie aus einer anderen Welt, noch immer einzelne Bilder von gestern auf – das andalusische Landhaus im Abendlicht, der gedeckte Tisch, das Gelb der Wände.

Sie öffnete einen neuen Tab, fast automatisch. Sergios Blog war wie ein Zufluchtsort geworden – weit entfernt von fluoreszierendem Licht und künstlicher Höflichkeit. Doch heute war selbst sein letzter Beitrag über einen nebligen Morgen in den Bergen Aragoniens nicht genug, um die Unruhe in ihr zu beruhigen.

Nach langem Zögern klickte sie auf „Kontakt“. Eine kleine Nachricht, nur ein paar Sätze:

„Hola Sergio,
Ich wollte nur sagen, dass mich deine Texte in letzter Zeit sehr berühren. Ich habe heute einen dieser Tage, an denen man an allem zweifelt – besonders an sich selbst. Vielleicht kennst du das Gefühl.
Grüße aus dem kalten Gelsenkirchen,
Isabella“

Sie schickte die Nachricht ab, ohne zu erwarten, dass er antworten würde. Vielleicht war es kindisch, vielleicht auch mutig – sie wusste es nicht.

Sergio

Während Isabellas Nachricht ihren Weg durch Kabel und Server nahm, war Sergio in den Ausläufern der Pyrenäen unterwegs. Ein schmaler Pfad zwischen alten Steinmauern, Kies knirschte unter den Stiefeln, die Kamera filmte mit – für die Follower, die sein „authentisches Leben“ sehen wollten.

Später würde er daraus einen Zwei-Minuten-Clip machen: goldener Morgenhimmel, Atemwolken in der Kälte, ein nachdenklicher Satz über das Loslassen. Und darunter würden Kommentare eintrudeln: Herz-Emojis, Fragen nach seiner Jacke, Bitten um Tipps für günstige Flüge nach Spanien.

Er wusste, wie das Spiel lief. Gesponserte Ausrüstung, Werbeverträge mit Outdoor-Marken, Affiliate-Links unter jedem Beitrag. Es reichte für Miete, Kaffee und Wanderkarten – und dafür, Entscheidungen zu vermeiden.

Manchmal, wenn er in den Bergen unterwegs war, kam ihm eine Wanderung in den Sinn, die ihn vor Jahren fast bis an die französische Grenze geführt hatte. Der Pfad war schmal gewesen, gesäumt von Ginster und Wacholder, und endete an kaum noch sichtbaren Ruinen. Grundmauern, halb überwachsen. Terrassenfelder, längst nicht mehr bestellt. Auf einer alten, halb verwaschenen Karte hatte der Ort noch einen Namen getragen: Sanluz de Montarroyo.

Der Zettel mit dieser Karte lag irgendwo in derselben Schublade wie der kleine Messingschlüssel, den er nicht wegwerfen konnte.

Manchmal, spät abends vor dem Laptop, fragte er sich, ob er nicht lieber ein Familienleben hätte. Kein perfektes Bild, sondern Alltag ohne Filter. Aber dann schob er den Gedanken weg wie einen störenden Tab im Browser. Morgen war auch noch ein Tag, um Antworten zu finden.

Am nächsten Morgen, kurz vor Arbeitsbeginn, leuchtete eine neue E-Mail in ihrem Posteingang auf.

„Hola Isabella,
Ich kenne das Gefühl nur zu gut. Zweifel sind wie Nebel – sie machen alles undeutlich, aber manchmal zeigen sie auch, wo das Licht ist. Du bist auf dem Weg, das spürt man zwischen deinen Zeilen. Bleib nicht stehen.
Un abrazo desde el norte,
Sergio“

Isabella las die Zeilen mehrmals. Etwas in ihr verschob sich – leise, aber spürbar. Die Worte trafen einen wunden Punkt und heilten ihn im selben Atemzug.

Der Entschluss

Isabella hatte den ganzen Tag über ihre E-Mails geprüft, die akuten Probleme in der Arbeit beseitigt, die Zahlen abgeglichen und die Berichte fertiggestellt. Doch am Nachmittag, als sie die letzte Mail abschickte und die Zeit auf der Uhr sah, war es, als ob ein unsichtbares Gewicht von ihren Schultern genommen worden wäre.

Sie fuhr ihren PC herunter und lehnte sich zurück. Ihr Blick wanderte zu den grauen Wolken, die sich vor den Fenstern des Büros türmten. Das vertraute Gefühl der Erschöpfung kratzte an ihr, doch diesmal war etwas anders. Der Gedanke an ihre Routine, an das Büro, an den Alltag, der sie immer wieder in seine gewohnten Bahnen zog, konnte ihr nichts mehr nehmen. Sie spürte ein leises, aber immer stärker werdendes Bedürfnis: Etwas musste sich ändern.

Mit zitternden Händen griff sie nach ihrem Handy und öffnete ein Reiseportal. Ihre Finger tanzten über das Display, suchten nach günstigen Flügen nach Spanien. Sie hatte nie viel über Spontanität nachgedacht, hatte sich nie wirklich in den Wind geworfen, den sie immer nur in den Blogs anderer gesehen hatte.

Und doch war es jetzt die einzige Möglichkeit. Die einzige Chance, den leeren, grauen Rahmen ihres Lebens zu verlassen.

Der Bildschirm zeigte ihr günstige Flüge nach Santiago de Compostela – der historische Pilgerort, der in ihren Gedanken immer präsenter geworden war, je mehr sie sich in Sergios Texte vertieft hatte. Ein kleiner Gedanke, eine leise Ahnung: Hier könnte es beginnen. Hier könnte sie in diesem fremden Land, mit all den Fragen und dem Gefühl der Ungewissheit, den ersten Schritt in eine neue Richtung machen.

Mit einem tiefen Atemzug, als wollte sie die ganze Luft der alten Welt hinter sich lassen, klickte sie auf „Buchen“. Zwei Wochen. Sie würde einfach wegfahren. Ganz allein.

Der Flug war in zwei Monaten. Genug Zeit, um sich vorzubereiten, sich von allem zu lösen. Genug Zeit, um ihre Entscheidung zu verarbeiten – und vielleicht die Frage, ob sie überhaupt zurückkommen wollte.

Das Gefühl war wild, unvermittelt, wie ein ungezähmter Sturm, der in ihr tobte. Aber es fühlte sich richtig an.

Der Gedanke, dass sie sich dieser Reise stellen würde, erfüllte sie mit einer seltsamen Mischung aus Nervosität und Erwartung.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Zwei Wochen Mut

Es war ein Mittwoch, kurz vor Feierabend, als Isabella in der Teeküche stand und ihre leere Tasse anstarrte. Der Pfefferminzduft war längst verflogen, übrig geblieben war nur der bittere Nachgeschmack ihrer Entscheidungslosigkeit. Die Worte ihrer Chefin von letzter Woche klangen noch nach – als wäre sie jemand, der gerade noch so „funktionierte“, aber innerlich längst abwesend war.

Doch da war auch Sergios letzte Nachricht. Kurz, herzlich, und doch kraftvoll. „Bleib nicht stehen.“ Sie hatte diesen Satz abgeschrieben, auf einen Zettel neben ihrem Bildschirm geklebt. Und nun war er mehr als nur ein Satz.

Zurück am Platz, klickte sie auf das Intranet. Urlaubsanträge. Die Seite war nüchtern, bürokratisch, grau – wie fast alles in diesem Gebäude. Sie hielt kurz inne, ihr Finger schwebte über der Maus. Dann ein Klick. Kalenderansicht. Zwei Wochen im Frühling. Sie wählte die Tage aus, trug den Grund ein: „Privatreise“.

Ein letzter Blick, ein tiefer Atemzug.

„Absenden.“

Ein Fenster erschien: „Ihr Urlaubsantrag wurde erfolgreich übermittelt.“

📎 Abspann:
„Manchmal beginnt eine Reise nicht am Flughafen, sondern in einer einzigen Nachricht.“

Hat Dich dieses Kapitel berührt, irritiert oder neugierig gemacht?
Dann teile Deine Gedanken gern in den Kommentaren. Wenn Du anderen davon erzählen möchtest, hilfst Du Encina Alta dabei, sich weiter zu entfalten – durch ein Like, einen Repost oder einen Hinweis an Freund:innen.

Neue Kapitel erscheinen jeden Sonntag.
Folge dem Weg – Schritt für Schritt, Wort für Wort.
Zur Übersicht aller Kapitel →

Ein Wanderer steht auf einem Bergpfad und blickt einem einzelnen Wolf entgegen, der wenige Meter entfernt den Weg versperrt. Dramatisches Licht, felsige Landschaft, gespannte Atmosphäre.

Wolf von Aragón

Der Wolf von Aragón
Knapp unterhalb der französischen Grenze lag ein Tal, das kaum noch jemand betrat. Der Pfad war überwuchert, der Wind roch nach Wacholder und feuchtem Stein. Sergio ging langsam, nicht wegen der Steigung, sondern weil hier jede Bewegung wie ein Eingriff wirkte – als müsste man um Erlaubnis bitten, weiterzugehen.

Zwischen den Büschen tauchten Grundmauern auf, so niedrig, dass man sie für zufällig liegende Steine halten konnte. Reste von Terrassenfeldern, längst vom Ginster zurückerobert. Eine Bruchstelle in einer Mauer trug noch einen Schriftzug, halb von Moos verdeckt: Sanluz de Montarroyo.

Er stand eine Weile davor, las die Buchstaben, als könnte das allein etwas zurückholen. Da knackte es im Unterholz. Sergio hob den Kopf – und sah ihn: einen Wolf, grau, mager, reglos, die Augen auf ihn gerichtet. Für einen Moment war die Welt still, nur Wind im Wacholder. Kein Knurren, kein Fliehen, nur dieses unergründliche Ansehen, als hätte das Tier entschieden, ihn zu prüfen. Dann wandte es sich ab, verschwand zwischen den Steinen, als wäre es nie da gewesen.

In seiner Familie hatte man ihn manchmal den „Wolf von Aragón“ genannt – halb spöttisch, halb ehrfürchtig. Nun war er sich nicht sicher, ob der Name ihn gefunden hatte oder er den Namen.

Plötzlich fiel ihm ein alter Schlüssel ein – verrostet, längst unbrauchbar. Als Kind hatte er ihn oft in den Händen gedreht, während sein Großvater ihm Geschichten erzählte: dass dieser Schlüssel einst zu einer Kapellentür gehört habe. Dass er, Sergio, der Nachkomme eines tapferen Ritters sei, der eine arabische Prinzessin geheiratet und eben jene Kapelle gebaut habe.

Manchmal, wenn er älter war, fragte er sich, ob sein Großvater die Geschichte selbst geglaubt hatte – oder ob sie nur eine hübsche Erfindung war, um einen rostigen Schlüssel zu retten. Aber als Junge hatte er nicht gefragt. Er hatte einfach zugehört und die Bilder im Kopf wachsen lassen.

Er machte ein Foto – nicht für den Blog, nicht für Sponsoren. Dieses Bild gehörte nicht ins Netz. Es gehörte dorthin, wo er sich selbst noch suchte.

Auf dem Rückweg kam ihm der Gedanke, dass er hier vielleicht länger bleiben könnte. Nicht für immer, aber lang genug, um zu sehen, ob man zwischen bröckelnden Steinen und verwehten Pfaden etwas findet, das näher an Zuhause ist als jede Wohnung in der Stadt.

In seiner Familie hatte man ihn manchmal den „Wolf von Aragón“ genannt – halb spöttisch, halb anerkennend. Weil er rastlos war, schwer zu fassen, nie ganz irgendwo ankam. Ein Tier, das Spuren hinterlässt, aber sich nie zähmen lässt. Sergio lächelte kurz bei dem Gedanken. Vielleicht war es gar nicht so falsch, dass ausgerechnet er hier stehengeblieben war, an einem Ort, der sich selbst gegen das Vergessen wehrte.

Entscheidungen konnten warten.

📜 Autorenkommentar

Manche Legenden tragen mehr Gewicht als jeder Beweis.
Sergio spricht selten über diese Geschichte. Vielleicht, weil er nicht weiß, ob sie wahr ist. Vielleicht, weil er ahnt, dass es keine Rolle spielt. In seinem Leben war dieser Schlüssel immer mehr als Metall – er war ein Versprechen, das keiner einlösen musste.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner